CFS Lecture
20.01.2020 | 17.30 - 19.00 Uhr
Die Zähmung des globalen Finanzkreislaufs: Der Umgang der Zentralbanken mit Kapitalströmen im klass. Goldstandard (1870-1914)
Kann eine Zentralbank die Binnenwirtschaft schützen, indem sie die Wirkungen ausländischer Kapitalströme neutralisiert? Wir versuchen diese brisante Frage der gegenwärtigen Geldpolitik unter Rückgriff auf die erste Globalisierung (1870-1914) mit Hilfe eines neu erhobenen Datensatzes monatlicher Zentralbankbilanzen aus 21 Ländern zu beantworten. Untersucht man die Auswirkungen eines globalen Zinsschocks auf heimisches Zinsniveau, Wechselkurs und Zentralbankbilanz, so lässt sich zeigen, dass kein einziges Land nach den sogenannten „Spielregeln des Goldstandards“ (Keynes) verfuhr. Nicht einmal der Goldstandard war also das System der vollständigen Unterwerfung der Zentralbanken unter die Zwänge der internationalen Finanzmärkte, als die er gerne hingestellt wird! Die Kernländer der Goldstandards (Deutschland, England, Frankreich etc.) neutralisierten die Kapitalströme, während periphäre Länder des Goldstandards (Griechenland, Italien etc.) obendrein noch (zeitlich befristete) Kapitalverkehrskontrollen einsetzten, um unerwünschte Reserveverluste zu vermeiden. Eine dritte Gruppe von Ländern (Portugal, Spanien etc.) dämpfte den Schock, in dem sie von vornherein dem Gold fernblieben und einem freien Wechselkurs folgten: der Logik des makroökonomischen Trilemmas folgend, wurden weder Bilanz noch Zinssatz in diesen Ländern beeinflusst. Nur die Vereinigten Staaten – ein Land mit Goldstandard aber ohne Zentralbank – konnten sich den Zwängen nicht entziehen. Hier musste die Zinsreaktion dreimal stärker als in Goldstandardländern mit einer Zentralbank ausfallen, um das makroökonomische Gleichgewicht wiederherzustellen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Bilanzen der Zentralbanken bereits seinerzeit als Puffer zwischen der Binnenwirtschaft und den globalen Finanzmärkten standen.
Dr. Matthias Morys wurde 2006 an der London School of Economics promoviert. Anschließend arbeitete er als Postdoktorand an der Universität Oxford und seit 2008 an der Universität York. Seine Forschungsinteressen umfassen die Geld- und Finanzgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, die Globalisierung in historischer Perspektive und die Wirtschaftsgeschichte Ost- und Südosteuropas. Er ist der Herausgeber der „Economic history of Central, East and South-East Europe, 1800 to the present day“ (Routledge, 2020).
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